Datisca cannabina (Scheinhanf), männliche Pflanze (4 Jahre alt)
Gerade mal zwei Arten gibt es derzeit in der Pflanzengattung Datisca, dem Scheinhanf, von denen nur einer – Datisca cannabina (eigentlich cannàbina, es wird das zweite "a" betont) – einige gärtnerische Bedeutung beigemessen wird; die andere, Datisca glomerata, fällt durchs gartenbauliche Raster. Na ja, was heißt schon gärtnerische Bedeutung? Wie oft ist Datisca cannabina denn heute bei uns in Gärten zu sehen oder gar im öffentlichen Grün (Parks etc.)? Genau das, dieses "Übersehen" des Scheinhanfs, ist ob seiner Bescheidenheit und Attraktivität verwunderlich: Datisca cannabina ist eine langlebige, gesunde und dankbare Staude, pflegeleicht und ohne Allüren. Schädlinge und Krankheiten sind an den Datisca-Pflanzen in unserem Garten noch nie aufgetreten, nicht einmal die ansonsten allgegenwärtigen Schnecken und Blattläuse bereiten Verdruss.
An den Boden stellt sie praktisch keine Ansprüche und verträgt selbst schlechtestes Substrat. Der Grund ist schnell erklärt: In Knöllchen an den Wurzeln der Datisca cannabina leben Bakterien, die Stickstoff aus der Luft für die Pflanze als Nährstoff nutzbar machen. Sie ist damit quasi ihre eigene Düngemittelfabrik. In ihrer Heimat (Kreta, Kleinasien bis Indien) gedeiht diese Staude an feuchten Flussufern im (nährstoffreichen) Schwemmland. Einen ähnlich feuchten Pflanzplatz kann man ihr im Garten bieten, muss man jedoch nicht. Selbst an sehr trockenen Standorten (die äußerst niederschlagsarmen Jahre 2018 bis 2020 haben es bewiesen) wächst Datisca cannabina in lehmigem Boden zufriedenstellend bis gut und büßt kaum etwas von ihrem monumentalen Habitus ein. Das mag in sandigen Böden etwas anders sein, da muss man ihr bei anhaltender Trockenheit eventuell mit Wasser aus der Gießkanne oder dem Gartenschlauch etwas auf die Sprünge helfen.
Spätfrostschaden Mitte April 2020
Eine sonnige oder halbschattige Lage ist perfekt für diese Pflanze. Düngen ist nicht erforderlich, sie produziert ja selbst, was sie an Stickstoff braucht, und alle anderen Nährstoffe liegen in Gartenerde so gut wie immer in ausreichender Menge vor. Die einzige Pflege, die sie wirklich benötigt, ist der bodennahe Rückschnitt der vorjährigen Triebe im Frühling (Ende März/
In manchen Jahren versetzen Spätfröste den jungen Scheinhanf-Trieben einen Dämpfer; in der Regel dauert es aber nicht lang, bis sich die Pflanzen erholen und Frostschäden überwachsen werden. Mit dem Winter an sich kommt Datisca cannabina in den meisten Regionen Deutschlands prima zurecht, sie verträgt Temperaturen bis ‑23,3 °C (Winterhärtezone 6a); leichter Winterschutz ist deshalb nur in den paar Gebieten nötig, die in Winterhärtezone 5 liegen (Oberpfalz, Chiemgau, Fichtelgebirge, Harz). Einige wenige andere Quellen ordnen sie in die Winterhärtezone 5 ein, doch man muss nicht alles ausprobieren.
Datisca cannabina (Scheinhanf) – weibliche Blüten zu Blühbeginn
Der Scheinhanf ist zweihäusig, jede Pflanze hat also nur männliche oder nur weibliche Blüten; Blütezeit ist von Mitte/
Im grünen Handel sind meist nur weibliche Exemplare zu bekommen, denen die dekorativere Blüte attestiert wird. Dabei stimmt das mit den "attraktiveren Weibchen" nur bedingt. Richtig ist, dass männliche Pflanzen etwas früher im Jahr ihre Blätter verlieren und einziehen als weibliche, bei männlichen Exemplaren fallen zudem die verblühten Blüten komplett ab. Weibliche Pflanzen setzen – selbst ohne Bestäubung – Früchte an, deren Blütentriebe bleiben daher lange grün und "sehen nach etwas aus".
Datisca cannabina (Scheinhanf) – männliche Blüten zu Blühbeginn
Die Blütenstände an sich sind bei männlichen und weiblichen Pflanzen der Datisca cannabina allerdings sehr ähnlich: Beide entwickeln Trauben mit unscheinbaren, gelblichgrünen (Männchen) respektive weißlichgrünen (Weibchen) Blüten (Blütenblätter fehlen), die im Verlauf der Blüte bei beiden Geschlechtern immer länger herabhängen und damit für dezenten und ungewöhnlichen Blütenschmuck sorgen. Die häufig zu findende Angabe, dass männliche Blüten bloß kurz gestielt in den Achseln der (nach oben hin immer kleiner werdenden) Blätter an den Triebspitzen sitzen und nur weibliche Blütenstände lang herunterhängen, trifft also nicht zu. Pflanzen beiderlei Geschlechts sind, was die Blüte anbelangt, gleichermaßen apart.
Datisca cannabina (Scheinhanf) weiblich – Fruchtstand
Bestäubende Insekten, Wildbienen zum Beispiel, locken Sie mit dem Scheinhanf nicht in den Garten; als Windbestäuber hat er die Unterstützung von Insekten schließlich nicht nötig und "arbeitet" deshalb nicht mit Lockmitteln wie Nektar und dergleichen; an seinem Pollen scheint zudem hierzulande niemand interessiert zu sein. Doch es ist ja nicht erforderlich, dass uneingeschränkt alle Pflanzen im Garten dem Insektenschutz dienen – wie so oft macht's hier die Mischung, und wenn die stimmt, stimmen auch das Konzept und der ökologische Wert des Gartens.
Datisca cannabina (Scheinhanf) männlich
Solch ein imposantes Gewächs ist wie geschaffen für besondere Aufgaben: Datisca cannabina eignet sich als Leitstaude in großen (tiefen) Beeten oder als Hintergrundpflanze und natürlich als Solitärpflanze. In kleineren Gärten dürfte es ein Problem sein, einen Platz für diese übermannshohe (zwei bis zweieinhalb Meter sind selbst an trockenen Standorten für ältere Exemplare kein Thema) und breit ausladend wachsende Staude zu finden. Die Lösung könnte darin liegen, dass die Datisca cannabina wie eine sommergrüne Heckenpflanze verwendet wird. Mit der "Lücke" vom Rückschnitt bis zum Neuaustrieb (Anfang/Mitte April in warmen Jahren) und Heranwachsen im Frühjahr muss man dann halt leben.
Bis eine richtig stattliche Erscheinung aus dem Scheinhanf wird, dauert es ein paar Jahre. Und so hünenhaft er im Alter auch wächst, er ist dennoch berechenbar, denn er treibt keine Ausläufer und bleibt dadurch immer schön an Ort und Stelle. Seine Pflanzpartner – besonders in jungen Jahren – sollten ihn nicht bedrängen und nicht in seiner Entwicklung einschränken. Auf Stauden mit starkem Ausbreitungsdrang (wie Phlomis russeliana, das Brandkraut) sollten Sie daher generell verzichten und ihm verträglichere Gesellen zur Seite stellen. Langlebige Stauden sollten mit einem Pflanzabstand nicht unter einem bis eineinhalb Meter zur Datisca gepflanzt werden. Anfängliche Lücken schließen niedrige Pflanzen, die mit etwas Glück und Selbstaussaat noch der ausgewachsenen Datisca als Unterpflanzung dienen; sie müssen also sowohl die Sommersonne als auch sommerliche Beschattung ertragen können. Brunnera macrophylla (Großblättriges Kaukasusvergissmeinnicht) und Pulmonaria officinalis (Kleingeflecktes bzw. Echtes Lungenkraut) kommen dafür in Betracht.
D. cannabina männlich (Scheinhanf, 15 Jahre)
Stauden wie das üppige Geranium x magnificum (Pracht-Storchschnabel) wären ideal, um ein bisschen zu kaschieren, dass die Triebe der Datisca im unteren Bereich – speziell bei trocknerem Stand – gern mal vorzeitig die Blätter verlieren. In der Nachbarschaft des Scheinhanfs nehmen sich zudem halbhohe bis hohe Stauden mit ebenfalls lockerem Wuchs gut aus, deren Triebe sich unter und zwischen seine sich neigenden Stängel mogeln. Campanula trachelium (Nesselblättrige Glockenblume) oder Ziergräser wie Calamagrostis brachytricha (Diamantgras) zum Beispiel. Mit solchen Pflanzpartnern sollten Sie ein bis eineinhalb Meter auf Distanz zum Scheinhanf gehen. Mehr Pflanzabstand muss gar nicht sein, damit er nicht wie ein Solitär wirkt. Gerade die Nähe – wenn die Pflanzen wie miteinander verwoben sind – macht letztlich den Charme eines solchen Ensembles aus.
Datisca cannabina (Scheinhanf) – Blätter
Bis ins 20. Jahrhundert war die fremdländische Datisca cannabina in Deutschland sowie anderen Ländern Mitteleuropas weitaus geschätzter als in unserer Zeit: Man empfahl sie als dekorative, leicht zu kultivierende und absolut winterharte Gartenstaude selbst für ärmste Böden, nutzte junge Blätter und Triebe (sie wurden abgekocht), um Leinen, Wolle und Seide gelb zu färben und forschte unter anderem – hauptsächlich in England und Italien – an ihrer Wirksamkeit als fiebersenkendes Mittel (mit gutem Erfolg, will man den damaligen Wissenschaftlern glauben und die beschriebenen heftigen Nebenwirkungen ignorieren). Heute braucht sie niemand mehr zum Färben, da kommen jetzt künstlich hergestellte Textilfarben zum Einsatz, und viele unserer Gärten sind arg klein geworden, haben ein Platzproblem mit der ornamentalen Pflanze. Lediglich ihre Heilwirkung machen wir uns noch zunutze, wenn auch nur in der Homöopathie (etwa bei Diabetes).
Datisca (Scheinhanf) männlich, fast verblüht
Im Laufe ihrer langen Geschichte als Kulturpflanze (in alten Büchern ist überdies von "ausgewilderten" Exemplaren in Deutschlands Natur die Rede) hatte es Datisca cannabina schon mit vielen Trivialnamen zu tun: Bastardhanf, Gelbhanf, Hanfartige Datisca, Streichkraut, Strichkraut und ganz vereinzelt Strickkraut, bis sie zu guter Letzt beim heutzutage gebräuchlichen Namen Scheinhanf gelandet ist. Streichkraut war lange Zeit der deutsche Name schlechthin, wurde früher jedoch als Bezeichnung für alle möglichen Pflanzenarten hergenommen. Das Wörterbuch der deutschen Sprache der Gebrüder Grimm kennt Streichkraut bzw. Strichkraut daher als Name für Zauber- und Medizinpflanzen (z. B. Antirrhinum, das Löwenmaul) sowie für Färbepflanzen (z. B. Reseda, der Färber-Wau, und für Datisca cannabina). Der deutsche Name Strickkraut taucht hingegen nur selten in der alten Literatur auf und könnte sich auf die faserhaltigen Stängel (über deren genaue Verwendung so gut wie nichts zu finden ist) der Datisca beziehen, kann aber ebenso bloß auf Fehler beim (Ab-)Schreiben (Streich/
Datisca cannabina (Scheinhanf) männlich mit Schneehaube
Den botanischen Gattungsnamen Datisca (gegenwärtig in der Pflanzenfamilie der Datiscaceae untergebracht) hat der Scheinhanf seinerzeit vom schwedischen Naturforscher Carl von Linné (1707-1778) im Zuge seiner Einführung der binären Nomenklatur (eindeutige Einteilung von Flora und Fauna in Gattungen und Arten mit zwei Namen) erhalten; die Herkunft des Gattungsnamens Datisca indes ist ungeklärt. Bis zu dieser neuen Zuordnung war die Pflanze unter den verschiedensten botanischen Namen bekannt: Cannabis lutea sterilis und: Cannabis lutea fertilis, Cannabina cretica florifera et fructifera sowie Catanance und vermutlich noch weitere. Schon damals hat nicht jeder (Wissenschaftler) verstanden, nach welchen Kriterien botanische Namensgebungen erfolgen, und so merkte Giovanni Marsili, Professor für Botanik aus Padua, 1794 in den "Saggi scientifici e letterarj dell Academia di Padova" zur linnéschen Neuordnung des Scheinhanfs als Datisca an: "… und Linné gab ihr, ich weiß nicht warum, den Namen Datisca cannàbina". (Deutsche Veröffentlichung: Italienische medicinisch-chirurgische Bibliothek 1796)
Dank Internet-Technologie und Online-Shops wird dem Scheinhanf für den Garten inzwischen wieder ein bisschen mehr Aufmerksamkeit zuteil. Deshalb noch ein paar Worte zur Vermehrung, denn mit Selbstaussaat dürften in der Praxis schließlich die wenigsten zu tun haben. Es ist ja schon eine gewisse Herausforderung, in den Garten ein Exemplar zu integrieren, geschweige denn ein Pärchen für eine erfolgreiche Windbestäubung.
Datisca cannabina (Scheinhanf) – Austrieb
Die einfachste Methode, den Scheinhanf zu vermehren, ist das Teilen der Horste. Jetzt kommt ein großes Aber, denn junge Pflanzen wird im Privatgarten kaum jemand teilen (sondern sie erst mal groß werden lassen) und alte, lange Jahre eingewachsene Exemplare haben einen verholzten Wurzelstock, den selbst ein "scharfer" Spaten kaum mehr auseinanderbekommt. Falls Sie dennoch einen Versuch unternehmen wollen, schreiten Sie am besten im Spätwinter (Februar/
Stecklingsvermehrung ist eine weitere Möglichkeit – dazu eine ergiebigere als Teilung. Gut geeignet dazu sind Kopfstecklinge, die Sie im Frühling nach dem Austrieb nehmen; der Stängel darf noch nicht hohl sein, wie das bei älteren Trieben der Fall ist.
Datisca cannabina (Scheinhanf) – Samen
Die dritte Option – Aussaat – ist für den Privatgarten eher uninteressant, zumindest wenn man von vornherein wissen will, ob's ein Junge oder ein Mädchen ist, was da keimt. Das sagt einem allerdings erst die Blüte, frühestens im zweiten Lebensjahr der Pflanzen. Die Aussaat selbst (die Samen werden nur dünn mit Erde abgedeckt) ist vor allem Erfolg versprechend, wenn das Saatgut sehr frisch ist. Datisca-Samen (die zwar leicht und klein, aber nicht sehr klein und schon gar nicht staubfein sind, wie immer wieder zu lesen ist) keimen recht ungleichmäßig, man sollte deshalb nicht die Geduld verlieren und das Aussaatgefäß zu früh vernichten.
Datisca cannabina (Scheinhanf) – Sämling
Für die Aussaat im (Gewächs-)Haus gilt: Das Aussaatgefäß wird bei ca. 20 °C immer schön feucht (nicht nass) gehalten. Eine Glasscheibe auf dem Gefäß sorgt für ein gutes Kleinklima und schützt vor schnellem Austrocknen der Aussaaterde. Gekeimte Pflänzchen müssen herausgenommen und einzeln in Töpfchen mit Erde gesetzt werden. Falls nach vier Wochen nur wenig oder nichts gekeimt ist, sollten die Samen eine vierwöchige Kühlperiode bekommen. Am einfachsten ist, Sie stellen das Aussaatgefäß in einer Plastiktüte verpackt in den Kühlschrank (ca. 5 °C). Anschließend erneut bei etwa 20 °C aufstellen. Bei früher Aussaat im Februar blühen ganz vorwitzige Jungpflanzen – zumindest männliche – schon im ersten Jahr. Alternativ zur Aussaat im Haus können Sie die Samen gleich nach der Reife im Herbst in Kistchen säen, die Sie im Freiland aufstellen (ggf. den Winter über stehen lassen).
D. cannabina (Scheinhanf) männlich (4 Jahre)
Eine Datisca cannabina ist sicher nicht ganz leicht im Garten unterzubringen, doch wer immer die Möglichkeit dazu hat, sollte es tun (bloß nie! zu nah an einem stark frequentierten Weg). Er wird sie schon bald nicht mehr missen wollen, denn diese so ungewöhnliche wie unempfindliche Staude setzt mühelos – in jeder Hinsicht mühelos – Akzente. Eine Enttäuschung dürfte der Scheinhanf nur all jenen bereiten, die ihn pflanzen, weil sie schon immer mal wissen wollten, wie der "richtige" Hanf (Cannabis, für den freien Anbau verboten) in natura aussieht. Mit dem hat der Scheinhanf jedoch rein optisch wenig zu tun, sehr wenig; am ehesten vergleichbar sind noch die Einzelblätter. Nur mit viel Fantasie ist eine "große Ähnlichkeit" zwischen diesen beiden Pflanzen-Arten zu erkennen. Aber die hatten die Botaniker wohl schon immer.
Das Foto unten zeigt eine männliche Pflanze (ca. 15 Jahre alt).
Wuchshöhe: | 200-300 cm |
Blütenfarbe: | gelblichgrün (M), weißlichgrün (W) |
Blütezeit: | Juli, August, September |
Lichtverhältnisse: | sonnig |
Bodenverhältnisse: | frisch-feucht |
Verwendung: | Solitär |
Hinweis: |